Meldung

Aus dem Stadtarchiv Nordhausen/Harz: Typhus - durchgeimpft in drei Wochen

Donnerstag, 28. Januar 2021, 14:06 Uhr
Die Corona-Impfungen sollen den Menschen wieder Perspektive für ein normales Leben geben. Das Stadtarchiv der Stadt Nordhausen hat in den Annalen der Stadt nach vergleichbaren Massenimpfungen geforscht und die Typhus-Impfkampagne von 1945 retrospektiv aufgearbeitet
(M. Schütze, Stadtarchiv Nordhausen, Januar 2020)
Amtliche Bekanntmachung Typhus 12.11.1945 (Foto: Stadtarchiv) Amtliche Bekanntmachung Typhus 12.11.1945 (Foto: Stadtarchiv)

"Wenn schon Probleme, dann aber bitte alles auf einmal!" - so dürfte man in der gebeutelten Stadt Nordhausen einige Tage nach Kriegsende 1945 geschrien haben...

Denn zu dem allgemeinen Mangel, den Versorgungsproblemen in allen Bereichen, der Unterbringung der Ausgebombten, der Verteilung und Weiterleitung von Umsiedlern sowie der noch zu bewältigenden Aufgabe des städtischen Wiederaufbaus, gesellte sich ab Mitte Mai 1945 der Typhus hinzu. Erst schleichend und vereinzelt, aber ab 22. Mai 1945 in stetig steigender Zahl, hatte man bereits im Juli 1945 144 gemeldete und bestätigte Fälle. Bloße Verdachtsfälle enthielt diese Zahl nicht.

Was konnte man tun?
Neben dem Erlass von allgemeinen hygienischen Vorschriften beschloss die Stadtspitze die Schutzimpfung der gesamten Bevölkerung Nordhausens. Dieser Vorgang sollte mit entsprechenden Planungsvorlauf innerhalb von 3 Wochen noch vor Jahresende 1945 abgeschlossen sein.
Die Bevölkerung Nordhausens zählte bei Schluss der Kampagne ca. 31.000 Personen. Wie sollte das wenige Wochen nach dem Ende des 2. Weltkrieges funktionieren? Ließ sich das überhaupt organisieren? Krankenhäuser gab es nicht mehr, medizinisches Personal war knapp und hatte sich auch noch um sämtliche anderen Krankheiten und Gebrechen zu kümmern. Die Organisation lag zu diesem Zeitpunkt bei der Stadtverwaltung selbst. Das Gesundheitsamt war damals eine städtische Einrichtung und hatte seinen Sitz in der Kölling-Straße 1. Leiter war bis zum 30. Juli 1945 Obermedizinalrat Dr. Paul Hesse, ihm folgte ab 1. August Dr. Hans-Eugen Schlumm.

Wie ging man vor:
Nach dem vermehrten Auftreten schwerwiegender Typhus-Erkrankungen im Juli 1945 wurde ein Kurierdienst zum Transport des Typhus-Untersuchungsmaterials (Abstriche) nach Erfurt eingerichtet. Als die Testkapazitäten in Erfurt nicht mehr ausreichten, wurde zusätzlich ein Kurierdienst zum Hygienischen Institut der Universität Halle eingerichtet. Erkrankte Personen wurden umgehend isoliert. Dazu wurden das Kurhaus, das Parkschloss und die Knappschaftsheilstätte in Sülzhayn zu Behelfskrankenhäusern deklariert. Typhus Artikel vom 29.09.1945 (Foto: Stadtarchiv) Typhus Artikel vom 29.09.1945 (Foto: Stadtarchiv) Letztgenannte Knappschaftsheilstätte wurde vom Landrat Dr. Karl Schultes, der damals ja zugleich auch Oberbürgermeister Nordhausens war, beschlagnahmt. Dieses Vorgehen sicherte eine Kapazität von über 200 Betten. Die vermutete Ursache des Typhusausbruches sollte das zerstörte Kanalisationsnetz der Stadt gewesen sein, was die Vermehrung von Bazillenausscheidern begünstigte. Wohlgemerkt: die besten hygienischen Zustände lagen auch ohne zerstörte Kanalisation nicht vor. Im Oktober 1945 stand aber fest, dass der Typhus von außerhalb in das Kreis- und Stadtgebiet hereingetragen wurde. Dies geschah vornehmlich durch zahllose Flüchtlinge und Umsiedler.
Um nun die Ausbreitung zum Erliegen zu bringen, wurde also Anfang Juli 1945 beschlossen, die gesamte Bevölkerung durchzuimpfen. Anhand noch existierender Organisationspläne lässt sich der

Ablauf:
Die Stadt wurde in vier Impfbezirke eingeteilt. Bezirk Nordost mit dem Stolberger Garten als ‚Impfzentrum‘, Bezirk Südost mit dem Hotel ‚Fürstenhof‘ als ‚Impfzentrum‘, im Bezirk Nordwest fungierte das Parkschloss als ‚Impfzentrum‘ und der Bezirk Südwest hatte das Restaurant „Harzbahn“ sowie das Restaurant „Reichshof“ als zugehörige ‚Impfzentren‘. Bei Bedarf konnte zusätzlich eine Baracke im Stadtgebiet als weitere Impfstelle aufgestellt werden. Jeder Impfpflichtige d.h. alle Personen im Alter von 6 bis 60. Lebensjahr mussten 3-mal geimpft werden (!). Die Impfungen sollten vom 1. bis 20. Oktober 1945 stattfinden. Für die Injektionen sollten laut Impfplan 12 Ärzte zusätzlich zum benötigten Personal bereitstehen, pro Impfstelle also 12 Personen. Jeder Arzt hatte ein Impfsoll von 80 Injektionen pro Stunde zu absolvieren. Bei täglich 5 geplanten Impfstunden wurden so 800 Personen pro Tag und Impflokal geimpft - täglich also 4.800 Impfungen. So sollten in einer Woche 33.600 Impfungen erfolgen.
An Impfstoff wurden 100.000 cm³ Serum benötigt. Wie sich der Ablauf in der Impfstelle gestaltete, lässt sich in den Ergänzungen zum Organisationsplan einsehen. Somit wäre die Stadt Nordhausen in 3 Wochen durchgeimpft gewesen.

Und im Ergebnis?
Dass die Impfkampagne nicht komplett im anvisierten Zeitraum abgeschlossen sein konnte, liegt auf der Hand. Dies beweisen auch die „Amtlichen Bekanntmachungen“ in der Zeitung. So wurden am 16. Oktober noch einmal weitere Impftermine vom 18. bis 27. Oktober 2021 bekannt gegeben. Diese betrafen aber schon die nötigen Nachimpfungen.
Der Abschluss der Impfaktion muss demnach bereits Anfang November 1945 erfolgt sein. Im November selbst wurde nun eine Vorlage der Impfbescheinigung bei der Ausgabe von Lebensmittelmarken nicht mehr verlangt. Auch eine weitere „Amtliche Bekanntmachung“ vom 12. November 1945 weist auf den Abschluss und Erfolg der Aktion hin, da ab 19. November 1945 die Schutzimpfung im Landkreis Nordhausen beginnen sollte.

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