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Einweihung August-Bebel-Büste und Erinnerungsweg und Gedenken der Opfer der antijüdischen Pogromnacht vor 71 Jahren

Montag, 09. November 2009, 14:04 Uhr
Einweihung Denkmal und Erinnerungsweg (Foto: Ilona Bergmann) Einweihung Denkmal und Erinnerungsweg (Foto: Ilona Bergmann)
Nordhausen (psv) Im Rahmen des Veranstaltungsjahres "20 Jahre friedliche Revolution in Nordhausen" weihte heute Oberbürgermeisterin Barbara Rinke auf dem geschichtsträchtigen August-Bebel-Plazu ein Denkmal und eine Erinnerungstafel ein, die an die Geschehnisse des Wendeherbstes 1989 in Nordhausen erinnert.

Der Bildhauer Lothar Rechtacek enthüllte gemeinsam mit der Oberbürgermeisterin die
Büste von August Bebel, die er fertigte. Holger Wengler blickte als damaliger Aktiver, Mitbegründer des Neuen Forums und Teilnehmer am Runden Tisch ebenfalls auf die Ereignisse zurück und mahnte gleichzeitig, dabei den Blick und die Kritikfähigkeit in die Zukunft nicht zu vergessen.

Nachdem der Erinnerungsweg mit seinen acht Stationen eingeweiht wurde, ist an diesem Tag auch mit einer Kranzniederlegung den Opfern der antijüdischen Pogromnacht vor 71 Jahren am Gedenkstein der Synagoge am Pferdemarkt gedacht wurden.

Hier die Rede der Oberbürgermeisterin sowie eine kleine Bildergalerie:

"Sehr geehrte Damen und Herren,

ich begrüße Sie herzlich an einem schicksalsträchtigen Ort – unserem August-Bebel-Platz, früher Neumarkt genannt, einen Markt also als einen Ort, an dem die Menschen seit jeher Waren und Meinungen austauschten, Jahrmärkte abhielten, wo sie feilschten und stritten und wo neue Ideen in die Öffentlichkeit kamen. Der Markt war immer der Platz seit altersher, um seinem Ärger über die Obrigkeit Luft zu machen und mit ihnen abzurechnen. Der 31. Oktober 1989 war ein solcher Tag. Das Volk der DDR greift selbst in die Geschichte ein und erfüllt sich die Sehnsucht nach Freiheit und Einheit. Es war eine Revolution von unten, eine Revolution der Provinzen. An vielen Orten in der DDR fanden fast zur gleichen Zeit die gleichen Protestaktivitäten statt. So auch bei uns hier auf diesem Platz. Der Ruf „Wir sind das Volk“ wurde zur Melodie der friedlichen Revolution. 1848 schrieb Ferdinand Freiligrath sein bekanntes Revolutionslied mit der Zeile „wir sind das Volk, die Menschheit wir, ihr hemmt uns, doch ihr zwingt uns nicht“. Hier schließt sich die Geschichte – ein nationales Bekenntnis frei von Nationalismus - der lange Weg unseres Volkes zur Demokratie von der Paulskirche über die Nikolaikirche bis zur ersten frei gewählten Volkskammer bis zum gesamtdeutschen Parlament.

Feiern wir heute Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung. Blicken wir in Dankbarkeit zurück auf die Zeit der friedlichen Revolution, die ohne Gewalt und Blut vergießen den kalten Krieg beendete.
Nun heiße ich ganz herzlich die jungen Leute willkommen und hier besonders Marie Siekel, Mandy Rödiger und Sarah Scholz vom Humboldt-Gymnasium, die das Konzept für den Erinnerungsweg erarbeitet haben, den wir heute eröffnen werden.

Der heutige Tag, der 9. November, es ist der Schicksalstag der Deutschen.

Auf den 9. November fallen eine Reihe von Ereignissen, die für die deutsche Geschichte als politische Wendepunkte mit teilweise auch internationalen Auswirkungen gelten.

Als besonders gravierend für die zeitgenössische öffentliche Diskussion in der rückwirkenden Betrachtung gelten dabei – beginnend in der jüngeren Vergangenheit – der Jahrestag des Mauerfalls heute vor 20 Jahren, der Beginn der Novemberpogrome 001938, der Hitler-Ludendorff-Putsch 1923 und die Novemberrevolution 1918, die in der Ausrufung einer deutschen Republik in der damaligen Reichshauptstadt Berlin gipfelte.

Diese historischen „Schlaglichter“ des deutschen Nationalstaats seit 1871 bilden in der Zusammenschau und der Rezeption im Verhältnis zueinander inhaltlich und ideologisch gegensätzliche und polarisierende Höhepunkte der Geschichte Deutschlands, insbesondere derjenigen des 20. Jahrhunderts.

Alle diese Ereignisse haben auch in Nordhausen ihre Spuren hinterlassen. So hatte 61 Jahre, bevor im Herbst 1989 mutige Nordhäuserinnen und Nordhäuser auf dem Bebel-Platz ihr „Nicht weiter so“ stimmgewaltig gerufen haben, die Vorgeneration dieser Mutigen vielleicht ebenso stimmgewaltig den Tod der Nordhäuser Juden gefordert, hat sie auf die Straße getrieben, hat sie geschlagen und bespuckt, gedemütigt und ihr Gotteshaus in Brand gesteckt.

Der Aufstand der Anständigen, wie im Jahr 1989, gerade damals wäre er so wichtig, ja lebensrettend, gewesen: Denn der 9. November 1938 war auch der Testfall für die Nazis: Wie würden die Deutschen reagieren, wenn ihre jüdischen Mitbürger plötzlich verschwinden würden? Heute weiß man, dass ein Aufbegehren der Bevölkerung gegen dieses Unrecht die Nazi-Größen in Berlin wahrscheinlich zum Umdenken bewegt hatte. Nur: Das Aufbegehren blieb aus - bis auf wenige Ausnahmen. Tragisch - nein tödlich - für die vielen Millionen Opfer. Denn es gab eine unheilvolle Allianz, der zu viele angehörten: Politik und Medien, Sportverbände und Vereine, Kirchen und Unternehmer, Bürgermeister und Stadträte, Arbeiter, Lehrer und Professoren – quasi die gesamte Gesellschaft. Doch es gab auch Ausnahmen, auch hier in Nordhausen: Sie hießen Dr. Kurt Isemann oder Emil Reichardt, es waren Curt Joedicke, Berta Gerlach und Ida Kelle – Namen, die leider kaum noch jemand kennt. Sie waren Nervenarzt, Hausmeister, oder Hebammen – einfache Menschen, die die allerdings Großes vollbrachten: Sie halfen mit, Menschen vor dem Tod zu retten, in dem sie Ihrem eigenen moralischen Urteil vertrauten und damit erkannten, dass Unrecht geschah – und in der Endkonsequenz mutig handelten.

Dass dem braunen Terror von damals ein Ende gesetzt wurde, haben wir solchen Menschen zu verdanken, Menschen, die damals und auch heute die Fähigkeit haben, mit unbeirrbaren Blick auf die wahre menschliche Natur schauen können, die den Willen haben, die Rechte des Einzelnen zu wahren und dafür einzutreten – wie im Herbst 1989."
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