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Bildergalerie: 69. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora

Freitag, 11. April 2014, 16:44 Uhr
Überlebende (Foto: Ilona Bergmann) Überlebende (Foto: Ilona Bergmann)
Nordhausen (psv) Heute fand die zentrale Gedenkveranstaltung des 69. Jahrestages der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora mit anschließender Kranzniederlegung am Krematorium im Beisein vieler überlebender Häftlinge in der Gedenkstätte statt. Am Nachmittag wurde der Ereignisse in einer Ansprache von Oberbürgeremister Dr. Klaus Zeh mit anschließender Kranzniederlegung auf dem Ehrenfriedhof gedacht.

Hier die Rede des Oberbürgermeisters im Wortlaut:

"Sehr geehrte Damen und Herren,

aus ganzem Herzen begrüße ich Sie hier zur Gedenkveranstaltung für die Befreiung des Konzentrationslagers „Mittelbau-Dora“. Es ist uns eine Ehre, dass insbesondere Sie, sehr geehrte Damen und Herren Überlebende des Konzentrationslagers „Mittelbau –Dora“, mit uns das Gedenken begehen, weil es keine Selbstverständlichkeit ist.

„Wer ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt, denn jeder Mensch ist wie das ganze Universum“– diese Überzeugung lebt in jüdischer Tradition, festgehalten ist sie im Talmud.

Der Mensch: einzigartig, großartig. Jeder einzelne wie das ganze Universum. Welch Kontrast in dieser Hölle von Mittelbau-Dora. „Wir waren nur eine Nummer. Wir waren fast jeder Facette des Menschlichen beraubt, der Persönlichkeit. Das war mit das Schlimmste – diese Enthumanisierung“, hat einer der Dora-Überleben bei einem Besuch in Nordhausen gesagt.

Wie müssen Sie, die früheren Häftlinge, sich gefühlt haben, wenn Sie, hinter Stacheldraht eingepfercht, bei klirrender Kälte, ausgelaugt von der Arbeit im Lager darben mussten, mit dem Blick hinunter auf die idyllische Fachwerkstadt Nordhausen, wo Sonntags die Kirchenglocken klangen, wo die Fenster hell erleuchtet waren, wo der Alltag seinen Weg ging, während im Lager die Hölle brannte. Wie oft haben Sie sich vielleicht gefragt: Mein Gott, gibt es da unten keinen, der von unserem Leiden weiß, der uns hilft, diesem Inferno zu entkommen, ihm ein Ende zu setzen?

Wir wissen heute, dass es viele gab in Nordhausen, die ahnten, was sich oben am Kohnstein abspielte - und nicht wenige, die es genau wussten. Und, ja, es gab auch unter den Nordhäusern Menschen, die den darbenden Häftlingen halfen, wenn sie durch Nordhausen zogen zu ihren Arbeitsplätzen in der Stadt. Es gab das heimlich zugesteckte Brot, es gab die ermunternde Geste, es gab die Aufrechten. Doch es waren zu wenige. Es fehlte der kollektive Aufschrei, eine kritische Masse der Empörung - auch und gerade in dieser Stadt, die mit dem Lager lebte und auch von ihm.

Sehr geehrte Damen und Herren, Stephan Hessel, ehemaliger Dora-Häftling, Weltgeist und ein streitbarer Kämpfer für Humanismus und die Menschenrechte schrieb in seinem Buch „Empört Euch“ folgendes: „Mein langes Leben hat mir eine ganze Reihe von Gründen gegeben, mich zu empören. Diese Gründe sind weniger aus einem Gefühl heraus entstanden, sondern aus dem
Willen sich für etwas einzusetzen. Der junge `Normale´ der ich war, wurde sehr durch Jean-Paul Sartre geprägt, einem älteren Mitschüler. Sartre hat uns gelehrt, uns selbst zu sagen: `Ihr seid als Individuum verantwortlich.´ Das war eine befreiende Botschaft. Die menschliche Verantwortung, die sich weder einer Macht noch einem Gott zu unterwerfen hat. Im Gegenteil, man muss sich im Namen seiner Persönlichkeit verantworten.“

Er schreibt dort weiter, vor allem an die jungen Menschen gerichtet: „Aber in dieser Welt gibt es unerträgliche Dinge. Um sie zu sehen, muss man sehr genau hinschauen, suchen. Ich sage den jungen Leuten: `Sucht ein bisschen, ihr werdet sie finden´. Die schlimmste Haltung ist die Gleichgültigkeit, die bedeutet: ´ich kann nichts dafür, ich komme schon klar´. Mit einem solchen Verhalten verliert ihr einen
unverzichtbaren Bestandteil der Menschlichkeit. Es ist die Empörung und das daraus resultierende Engagement.“ Zitat Ende. Genau dies ist unsere Verpflichtung!

Sehr geehrte Damen und Herren Überlebende, ich wiederhole: Es ist uns eine Ehre, dass Sie mit uns das Gedenken begehen, weil es keine Selbstverständlichkeit ist. Ich verneige mich aus Dankbarkeit, dass Sie heute den Weg in unsere Mitte gefunden haben und diesen Tag mit uns begehen. Dass Sie Nordhausen die Hand ausgestreckt haben, beschämt uns und macht uns froh. Albert van Hoey hatte uns im Jahr 2005, dem 60. Jahrestag der Lager-Befreiung, folgendes ins Goldene Buch der Stadt Nordhausen geschrieben. „Der Stadt Nordhausen und ihren Bürgern danken wir, die Überlebenden des KZ Mittelbau-Dora und Kommandos, dass sie die Erinnerung an unsere hier ermordeten Kameraden wach halten. Möge die KZ Gedenkstätte auch in Zukunft ein unverzichtbarer Bestandteil im Leben dieser Stadt sein“, Wir versichern Ihnen, dass Ihre Bitte unsere Verpflichtung ist!

Zum Schluss möchte ich die Anmerkung eines Überlebenden von vor zwei Jahren aufnehmen. Sie war ihm so wichtig, dass ich die Gedanken hier in die Runde stelle. Ist es gegenüber den Überleben angemessen, sie hier in Nordhausen auf die Rolle als ehemalige Häftlinge, als Opfer zu reduzieren?

Verstärken wir damit nicht immer und immer wieder die alten Traumata? Ich denke, wir haben die Pflicht immer auch den ganzen Menschen zu sehen in all seinen Facetten.

Ich bin dankbar, dass ich Gast auf der Geburtstagsfeier von Albert van Hoey in Belgien sein durfte. Dort erlebte ich einen Menschen im Kreise seiner Familie, lernte seine Kinder und Enkel kennen, den pensionierten Lehrer Albert van Hoey, den Familienvater, den Freund, den humorvollen und engagierten Redner, den Jubilar, dessen Gäste ihm Bilder aus seiner frühesten Kinderjahren geschenkt hatten. Gerade die Bilder des zweijährigen Albert van Hoey hatten mich tief berührt.

Auch diese Facette ist wichtig. Viele waren stolze, aufrechte und mutige Kämpfer gegen Unmenschlichkeit, gegen Barbarei, sie waren jene, die nicht weggesehen, sondern hingeschaut, gehandelt, haben. Die den Verrohten gezeigt haben: Halt, hier ist die Grenze. Die dem Mördern in die Arme gefallen sind. Die dafür gekämpft haben, dass sie persönlich, Ihr Land, Ihre Glaubensbrüder und -schwestern eben eines nicht werden sollten – Opfer?

Viele hatten diesen Mut zur Mitmenschlichkeit auch im Lager selbst. Das zeigte die bewegende Schilderung von Noah Klieger heute Vormittag. Ihm half ein französischer Mithäftling in den rettenden Montagestollen von Mittelbau Dora zu kommen, obwohl Noah Klieger kein Mechaniker war. Das zeigt, wie mit Mitmenschlichkeit die Unmenschlichkeit auch unter den Häftlingen besiegt werden konnte.

Auch dafür müssen wir Ihnen Dank, Respekt und Ehre zollen!"
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